Freiheit aus der ägyptischen Perspektive
Oder: Warum uns die arabische Welt vielleicht doch etwas mehr interessieren
Vorgeschichte
Es ist zum Teil schon wieder relativ still geworden in den Medien rund um die ägyptische Revolution. Doch das, was im Februar mit dem Marsch der Millionen angefangen hat und mit der Absetzung des seit über 30 Jahren an der Spitze Ägyptens stehendem Husni Mubarak aufgehört hat, ist eigentlich noch lange nicht zu Ende.
Ich erinnere mich noch sehr gut, als ich vor einem Jahr angefangen habe, in Berlin zu studieren. In der Einführungsvorlesung der Politikwissenschaft sollte über jeden Bereich der Politik eine Vorlesung lang etwas erzählt werden. Eine Vorlesung war zum Bereich „Politik im Vorderen Orient“, der mich bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich kaum interessiert hat. Allerdings hat sich mein Interesse innerhalb kürzester Zeit gewendet. Dazu haben vor allem vier Dinge beigetragen: Das Seminar zum Thema Korruption mit dem Schwerpunkt auf Afrika, was eine ägyptische Dozentin geleitet hat, eben diese Vorlesung (bei der uns unter anderem empfohlen wurde, doch mal häufiger Al Jazeera auf englisch zu gucken, bzw. die Welt mal aus der „nicht-westlichen“ Perspektive zu sehen → www.aljazeera.com), der sogenannte „Arabische Frühling“ und nicht zuletzt meine Freundin Hend, die aus Ägypten kommt und nun mit mir studierte.
Ägypten aktuell und unter Mubarak
Als wir uns also diesen November entschlossen haben, das Thema Freiheit als Jahresthema zu wählen und dazu verschiedene Artikel zu schreiben, musste ich sofort an Hend und ihr Land denken und wollte sie zum Thema Freiheit interviewen. Schließlich läuft dort die zweite, diesmal jedoch etwas kleinere Revolution gegen das Militär, welches gerade so eine Art „Übergangsregierung“ stellt und dabei die Macht an sich reißt. Und wieder einmal sind die FreundInnen von meiner Freundin auf dem Tahirplatz und stehen mit ihrem Leben dafür ein, endlich Freiheit zu haben.
Die Stimmung im Land ist eine vollkommen andere als unter Mubarak. „Niemand wäre vorher auf die Idee gekommen, auf den Tahirplatz zu gehen“. Das ist jetzt anders. Der Februar hat gezeigt, was möglich ist. Jetzt will man noch mehr. Vorher hat man sich wenn überhaupt nur zu Hause getraut etwas gegen Mubarak zu sagen. „Es könnte ja alles noch schlimmer sein“, war der Ton des allgemeinen Schönredens und Hinnehmens. Öffentlich hat man niemals ein Wort zu Mubarak gesagt. Die Korruption wurde einfach hingenommen und totgeschwiegen.
Persönliche Erfahrungen aus Ägypten
Als ich Hend fragte, was für sie und für ihr Land Freiheit bedeutet, hat sie zuerst gesagt, „dass man etwas machen kann, ohne Angst zu haben oder darüber nachzudenken“. Ich glaube, dass dies vor allem auf die Proteste und die riesigen Demonstrationen auf dem Tahirplatz bezogen war. (Obwohl es auch ein allgemein geltender Satz für Freiheit sein könnte.) Denn die FreundInnen und Familie von Hend riskieren zum Teil ihr Leben, einfach nur, weil sie zu einer bestimmten Zeit auf einem bestimmten Platz sind und dabei friedlich. Der Begriff „Arabischer Frühling“ ist ziemlich umstritten in der Politikwissenschaft und unter den „Revolutionären“. Zu beschönigend klingt er für all die Menschen, die bei diesen Revolutionen sterben mussten und immer noch sterben.
Während wir reden und sowieso, seitdem ich ihre WG betreten habe, ist sie relativ nervös. Ich fühle mich erinnert an die Situation vor einem dreiviertel Jahr. Sie macht sich ständig Sorgen, um die Menschen, die ihr nahe sind. Ihre Mutter und ihr Freund versuchen sie von Informationen fern zu halten. Aber das ist so gut wie unmöglich. Nicht zuletzt weil ihre FreundInnen auf Facebook (Leute in meinem Alter, also um die 20) gerade große Debatten darüber führen, ob denn das Militär wirklich so schlimm sei oder nicht.
Als jemand, der sich schon immer gefreut hat, junge Leute über Politik reden zu hören, freut es mich besonders so etwas zu hören: Auf Facebook diskutieren Jugendliche, die nicht Politik studieren, die erst recht nicht immer politisch waren. Aber die sich auf einmal bewusst geworden sind, was es bedeutet oder bedeuten könnte (politisch) frei zu sein. Ich frage mich, wie diese Leute „politisiert“ worden. Auf dem letzten Kirchentag in Dresden gab es eine Veranstaltung zu den arabischen Revolutionen. Drei Ägypterinnen waren dort und erzählten, warum sie zum Tahirplatz kamen. Eine einzige hatte sich schon immer mit Politik beschäftigt, für die anderen beiden waren es die Polizeigewalt gegen die ersten DemonstrantInnen und die Abschaltung des Internets im ganzen Land.
Warum die Pressefreiheit so wichtig ist…
Was ist eigentlich das wichtigste an der Freiheit, die Hend da beschrieben hat? Sie sagt, es sei die Pressefreiheit. Sie sagt, „du weißt es nie, was stimmt“. Sie sagt, „staatliche Medien sind immer noch zensiert“. Ich frage sie, ob das denn nicht zum Teil auch für unsere Medien hier gilt, von denen einige auch Meinungen machen. Aber sie wendet ein, dass die Dimensionen einfach nicht vergleichbar sind und ich fühle mich fast schuldig, überhaupt den Vergleich gewagt zu haben. In Deutschland gibt es eine freie Presse, das steht so im Grundgesetz, Art. 5, zur Erinnerung:
„(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
Eine Pressefreiheit findet in Ägypten nicht statt. Die Medien sind staatlich. Gehen in Ägypten Leute auf die Straße sprechen die staatlichen Medien von Krawallen und verschweigen, mit welcher Gewalt der Staat/ das Militär dagegen angeht. Genau dies ist übrigens auch eines der wichtigsten Argumente, das Hend gegen das Militär bringt. „Klar ist man freier als unter Mubarak, aber man sieht doch einfach, dass das Militär nicht für Ägypten* ist, wenn man sieht mit welcher Gewalt sie gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten vorgehen.“
*Ägypterinnen und Ägypter sind laut Hend sehr nationalstolz, es ist also sehr wichtig, dass jemand für Ägypten als Land ist.
… und welche Rolle Facebook, Twitter und Co für die Pressefreiheit spielen.
Hend lebt gerade in Berlin. Hier in Deutschland wird einigermaßen objektiv über die Vorfälle in Ägypten berichtet. Aber woher wissen ihre FreundInnen eigentlich, was los ist? Es gibt ein großes ABER in der Zensur der Pressefreiheit: Die jungen Leute dort (und hier) haben ihre eigene freie Presse gefunden. Was die staatlichen Medien nicht berichten wollen, berichten Personen aus der Gesellschaft, v.a. Jugendliche: auf Facebook, auf Twitter und über Videos auf Youtube, die die Gewalt der Militärs zeigen. Wer glaubt, wir in Deutschland wären Facebook- und Twitter-technisch auf dem neues Stand würde in Ägypten eines besseren belehrt. Letztens hörte ich den etwas rabiaten Satz einer Person, die von den Revolutionen berichtete: „In Ägypten ist das so: In der einen Hand hält man den Molotovcocktail und in der anderen das Handy, mit dem man gerade twittert in welche Polizeistation man ihn jetzt wirft.“ Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass man sich jetzt bitte nicht vorstellen soll, alles in Ägypten sei gewaltvoll abgelaufen. Ganz im Gegenteil. Wie fast immer bei Demonstrationen bilden die gewaltbereiten nur einen kleinen Teil der DemonstrantInnen und machen viele Demontrationen damit leider auch kaputt.
Zum Schluss
Während wir redeten hatte Hend ihren Laptop aufgeschlagen. Facebook war offen. Leider verstehe ich kein arabisch und konnte die Kommentare ihrer FreundInnen dementsprechend auch nicht lesen. Aber ein Beitrag, obwohl nur aus drei Worten bestehend, ist mir doch in Erinnerung geblieben. Eine Freundin schrieb auf Facebook: „Off to Tahir!“ (Auf zum Tahir!)
akb